Gerbung von Leder aus ökologischer Sicht


Max Gimmel*



1. Gerben von Leder



Gerben ist die chemische Verbindung von Hauteiweiss mit einem Gerbstoff. Durch Gerben entsteht aus Haut Leder. Im Lauf der Zeit und in allen Erdteilen fanden schon viele verschiedene Gerbmethoden Anwendung. Die Ägypter tauchten die Haut in salzhaltige Wüstenseen, Indianer hängten sie in den Rauch. Selbst in waldigen Tümpeln wurden Tierhäute konserviert mit den darin enthaltenen Holz-Gerbstoffen.


Heute gibt es drei Kategorien von Gerbstoffen, die für die industrielle Herstellung von Leder von Bedeutung sind: vegetabile, mineralische und synthetische.


1.1. Vegetabile oder pflanzliche Gerbstoffe


Viele Hölzer, Rinden und Früchte enthalten Gerbstoffe, die extrahiert und so für die Gerbung gewonnen werden können. Der Gerbstoff im Wein ist allen bekannt und beeinflusst seine Qualität nachhaltig. In unseren Regionen sind Eiche und Kastanie bekannte Gerbstoff-Lieferanten, die heutzutage allerdings keine wesentliche Bedeutung mehr haben. Vor allem aus Übersee sind heute Mimosa- und Quebracho-Bäume wichtige Gerbstoff-Lieferanten sowie das Extrakt der Tara-Frucht. Die vegetabilen Gerbstoffe sind die ältesten Gerbstoffe, die wir kennen und ergeben aufgrund ihrer chemischen Struktur volle, feste und kompakte Leder, die zum Beispiel für Schuhsohlen gebraucht werden.


1. 2. Mineralische Gerbstoffe


Metallsalze, die Chrom, Zirkonium, Aluminium, Titan oder Eisen enthalten, haben ebenfalls eine gute gerbende Wirkung und können mit Eiweissen sehr gute Verbindungen aufbauen. Von den mineralischen Gerbstoffen hat heute ausschliesslich das dreiwertige Chrom grosse Bedeutung und wird bei nahezu 90 Prozent aller Leder, die weltweit gegerbt werden, eingesetzt. Seit mehr als 100 Jahren wird Chromsulfat als Gerbstoff verwendet. Chromgegerbte Häute ergeben aufgrund der besonders komplizierten Vernetzung mit dem Hauteiweiss widerstandsfähigere und weichere Leder als solche, die mit anderen Gerbverfahren produziert werden. Sie sind zudem wärmeunempfindlich, schweissecht und sehr gut färbbar. Es ist aber wesentlich, zwischen dem dreiwertigen Chrom, das für die Gerbung eingesetzt wird, und dem sechswertigen Chrom, das sehr giftig ist zu unterscheiden. Für die moderne Gerbung hat das sechswertige Chrom aber keine Bedeutung mehr.


Das dreiwertige Chrom ist aber ein essentielles Spurenelement in unserem Körper. Es kommt in Konzentrationen von 0,03 bis 0,1 g/kg in unseren Böden, Gesteinen und Gemüsen vor. Ein Rindleder von etwa 5,5 m2 Fläche enthält etwa 80 Gramm dreiwertiges Chrom, also etwa 20 g/kg Leder. Obwohl es als Schwermetall mit viel Misstrauen behandelt wird, gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Beleg für einen tatsächlich negativen Einfluss der Chromgerbung auf die Umwelt oder die menschliche Gesundheit, und dies nach 100 Jahre erfolgreicher Anwendung der Chromgerbung. Chromgegerbte Leder sind eher weich und werden deshalb hauptsächlich für Schuhe, Bekleidung und Möbel eingesetzt.


1.3. Synthetische Gerbung


In diese Kategorie gehören Gerbstoffe, die durch Synthese hergestellt werden, also nicht in der Umwelt bereits vorhanden sind. Besonders gerbende Wirkung haben Formaldehyd, Glutaraldehyd, Phenole, Harnstoff-Derivate und Acrylate. Die synthetischen Gerbstoffe werden in der Regel nicht als Alleingerbstoffe eingesetzt, sondern geben in Kombination mit vegetabilen oder Chromgerbstoffen sehr interessante Resultate. Man spricht dann von einer kombinierten Gerbung. Früher war es zum Beispiel nicht möglich, mit einem vegetabilen Gerbstoff allein weiche Leder herzustellen. Heute kann dies über ein synthetisches Vorgerbverfahren problemlos erreicht werden.


2. Vegetabile Gerbung kontra Chromgerbung


Für weiche Möbelleder zum Beispiel wird das kombinierte Gerbverfahren mit einem synthetischen Vorgerbstoff und einem vegetabilen Hauptgerbstoff angewendet. Es dauert doppelt so lange wie bei der Chromgerbung. Ebenso wird die vierfache Menge an Gerbstoff benötigt. Deshalb sind vegetabile Leder teurer als chromgegerbte. Als Vorteil der chromfreien Leder gilt, dass die Restflotten der Gerbung nicht die Chromrückgewinnungs-anlage der Abwasserreinigung durchlaufen müssen. Dagegen haben aber vegetabile Restbrühen in den Kläranlagen einen höheren Sauerstoffbedarf (COD) und belasten deshalb die Belüftung in der biologischen Stufe der Kläranlage mehr


3. Abfälle aus der Gerbung


3.1 Schlämme


Für alle Nassprozesse in der Gerberei werden etwa 20 Kubikmeter Wasser pro Tonne Rohhaut benötigt. In diesen Brühen oder Flotten sind meist auch unlösliche Teile enthalten (Hauteiweiss, Salze und andere mehr) die bei der Filtration der Abwsser Schlämme ergeben. Bei der Chromgerbung wird der am Ende der Gerbung in der Flotte verbliebene Rest-Chromgerbstoff separiert ausgefällt und filtriert. Das dabei entstehende Chromhydroxyd kann zu einem Gerbstoff aufgearbeitet und wieder verwendet werden. Um die für das Abwasser vorgeschriebenen Grenzwerte von 2 mg Chrom pro Liter einzuhalten, muss in manchen Gerbereien nochmals eine Chromseparierung nachgeschaltet werden. Der dabei erhaltene Schlamm, der auch wesentliche organische Bestandteile sowie andere Salze enthält, wird entwässert und gelangt auf eine Deponie. Der im Schlamm enthaltene Chrom verharrt im dreiwertigen Stadium und ist somit nicht giftig.


Die vegetabilen Gerbbrühen können teilweise ebenfalls rezykliert werden. Trotzdem bleibt aber ein ungelöster Teil übrig, der auch als Schlamm anfällt. Dieser Schlamm hat den Vorteil, dass er metallfrei ist. Er könnte einer Kompostieranlage zugeführt werden. Wir müssen aber feststellen, dass die Betreiber von Kompostieranlagen heute noch nicht in der Lage sind, solche Abfälle tatsächlich in grösserem Umfang zu kompostieren. Kompostieranlagen arbeiten fast ausschliesslich mit pflanzlichen Abfällen. Die Klärschlamm-Problematik zeigt deutlich, dass Nebenprodukte der Industrie ungern auf Äckern ausgebracht werden.


3.2. Falzspäne


Die gegerbten Leder werden auf der Falzmaschine, einer Art Hobelmaschine, in der Dicke egalisiert. Dabei entsteht der Falzspan. Wie beim Holz wird aus den Falzspänen eine Faserplatte hergestellt. Die Falzspäne werden also wieder verwendet. Chromgegerbte Falzspäne können mit einem anderen Verfahren aber auch aufgelöst werden. Das entstehende Eiweisshydrolysat kann vom Chrom getrennt und zum Beispiel in der Fotochemie als Gelatine verwendet werden. Das Chrom kann wieder aufgearbeitet und als Gerbstoff verwendet werden. Aus Kostengründen wird es aber vorwiegend deponiert.


Die vegetabilen Falzspäne können kompostiert werden, da aber gegerbtes Leder sehr gut konserviert und haltbar ist, dauert die Kompostierung wesentlich länger. Wegen ungenügender Kompostkapazitäten besteht das gleiche Problem wie bei den Schlämmen, so dass auch vegetabile Falzspäne entweder deponiert oder verbrannt werden.


3.3 Lederabfälle


Wenn Abfälle von Leder, das an den Rändern beschnitten wird, eine gewisse Grösse aufweisen, etwa das Format A6 bis A5, können sie zusammen mit Zuschneide Abfällen der lederverarbeitenden Industrie (zum Beispiel Möbel- oder Schuhfabriken) wieder verwendet werden. Kleinere Lederabfälle werden in der Schweiz über den Hausmüll entsorgt und gelangen so in die Kehrrichtverbrennung oder seltener auf die Kehrrichtdeponie. Das im Leder enthaltene Chrom verbleibt nach der Verbrennung in der Schlacke und gelangt so auf eine kontrollierte Deponie. Auch in diesem Fall besteht keinerlei Gefahr, dass sechswertiges Chrom die Umwelt belastet. Die Rückstände der chromfreien Leder (Salze) gelangen ebenfalls auf die gleiche Deponie.


4. Umweltbestimmungen


Obwohl die Lederindustrie eines der ältesten Gewerbe ist und Leder wahrscheinlich als das erste Beispiel von Abfallverwertung (Verwertung der tierischen Haut) betrachtet werden kann, kommen Gerbereien immer wieder in Verruf, die Umwelt zu belasten. In Europa, vor allem in Deutschland und in der Schweiz, haben wir gesamthaft betrachtet die tiefsten Grenzwerte für Emissionen in die Umwelt. Es gibt zwischen den beiden Ländern zwar kleine Unterschiede, die aber nicht relevant sind. Die deutsche Umweltgesetzgebung ist vor allem komplizierter und detaillierter. Die Schweiz hat besonders im Abwasserbereich sehr früh Grenzwerte erlassen und deshalb für die Durchsetzung mehr Zeit gehabt, was sinnvoll ist. Beim Abfall besteht ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland darin, dass die Schweiz aufgrund der Grösse des Landes sehr wenig Abfalldeponien hat, dafür um so mehr Kehricht-Verbrennungs-Anlagen. Der Abfall wird deshalb in der Schweiz hauptsächlich verbrannt. Die übrigen Länder weisen wohl ähnlich strenge Gesetze auf, sind aber im Vollzug nicht gleich konsequent. Diese Grenzwerte umweltbelastender Emissionen wurden aber nicht aufgrund der Lederindustrie eingeführt, sondern sind Grenzwerte, die für alle Industriebereiche gelten. Man darf also davon ausgehen, dass eine Gerberei nicht schlechter dasteht als jede andere Industrie, dabei spielt es keine Rolle, welche Gerbverfahren angewendet werden.


Zusätzlich gibt es nun aber auch chemische Substanzen, die im Leder nicht enthalten sein dürfen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die folgenden Produkte:


1. PCP (Pentachlorphenol), ein Konservierungsmittel, das vor allem in tropischen Ländern angewendet wird, in Europa aber schon seit mehr als zehn Jahren von der chemischen Industrie nicht mehr verwendet wird.


2. Einzelne Azo-Farbstoffe, die eines der 20 Amine enthalten, die auf der deutschen Bedarfsgegenständeverordnung aufgelistet sind. Es sind also nicht generell alle Azo- Farbstoffe verboten, sondern nur einzelne. Im übrigen werden Azo-Farbstoffe in viel grösseren Mengen in der Textilindustrie angewendet als im Leder.


3. Formaldehyd (nicht zu verwechseln mit Glutaraldehyd), der als Hilfsgerbstoff eingesetzt werden kann. Ebenso dient Formaldehyd als Vernetzter von Casein haltigen Zurichtungen.


4. Sechswertiges Chrom (nicht zu verwechseln mit dreiwertigem Chrom), das unter extremen Bedingungen aus dem gerbenden Chrom III entstehen kann.


Es obliegt der Verantwortung jeder Gerberei, Erklärungen abzugeben, ob diese Produkte in ihren Ledern enthalten sind oder nicht. Die noch verbliebenen Gerbereien in der Schweiz können problemlos bestätigen, dass oben erwähnte Produkte in ihren Ledern nicht enthalten sind.


Wir tragen täglich Leder auf unserem Körper oder kommen mit Leder in Berührung: Schuhe, Bekleidung, Uhrbänder, Handtaschen, Mappen, Sitzbezüge. 90 Prozent der weltweit produzierten Leder sind mit Chrom gegerbt. Bis heute sind keinerlei Krankheiten aufgetreten, die auf eine Lebensgefahr für den Menschen durch Chromgerbstoffe hindeuten. Bekannt sind heute gewisse Hautallergien, die mit Chrom in Zusammenhang stehen. Es besteht aber kein Anlass, die praktische, einfache und preisgünstige Chrom-Gerbmethode zu verwerfen, wenn eine andere Gerbmethode nicht eindeutig umweltverträglicher, besser oder billiger sein kann.


5. «Öko-Leder» - ein falscher Begriff sucht einen Markt


Leider wird heute sehr oft Ökologie und Umweltverträglichkeit als Marketing-Instrument missbraucht. Es werden Ausdrücke erfunden, die jeglicher fachlicher und wissenschaftlicher Bedeutung entbehren. So werden auch im Verkauf von Leder die Begriffe «Öko-Leder» und «Bio-Leder» genannt, obwohl überhaupt keine Definition hierfür besteht. Auch der Internationale Gerberverband sowie die Union der Internationalen Gerbereichemiker-Verbände haben noch keine Kriterien festgelegt, die den Begriff «Öko-Leder», definieren. Hierzu bedarf es einer gesamten Analyse der umweltrelevanten Kriterien. In der EU wird zur Zeit diese Frage untersucht.


Heute wird von namhaften Grossfirmen Öko-Management als Bestandteil des Marketings angewandt. Im Lederbereich wurde zum Beispiel von einem deutschen Automobilhersteller das chromfreie Leder in den Autos vorgeschrieben, um damit einen Beitrag an den Umweltschutz zu leisten.


Die Idee der Verbreitung von vegetabilen Ledern ist sicher ein wichtiger Schritt. Aus heutiger Sicht wird es aber nie möglich sein, die Chromgerbung zu ersetzen, weil weltweit nicht genügend vegetabile Gerbstoffe vorhanden sind. Es bedarf einer Weiterentwicklung der synthetischen Hilfsgerbstoffe, um den Anteil der vegetabilen Gerbstoffe zu reduzieren.


6. Schlussfolgerung


Wenn eine Gerberei die Emissions-Grenzwerte, wie wir sie in Deutschland und in der Schweiz kennen, nicht übersteigt, dann erfüllt sie gesamthaft betrachtet, also bezüglich Abwasser, Abluft, Abfall sowie Bau-Ökologie die höchsten Anforderungen, unabhängig, ob die Leder mit Chromsulfat oder vegetabilen Gerbstoffen gegerbt werden.


*basierend auf einer Publikation in der Zeitschrift "Schuh Gazette" 10/97